Die Philosophie des Tees (...)
ist moralische Geometrie
insofern, als sie unser Gefühl
für das Verhältnis zum All
bestimmt.
(Kakuzo Okakura, Das Buch vom Tee, S. 9/10)
These zur Schönheit (von Teeschalen)
Die Schale stand ganz allein in der Vitrine, deren Boden mit Seide in einer unbestimmten Grünfärbung ausgeschlagen war. Auch die kleine Erhöhung, auf der die Schale stand, war grün, ebenso der Hintergrund und die seitlichen Wandungen.
Eine schwarze Schale. Aber damit war noch gar nichts gesagt.
Manche Dinge drücken Ruhe aus, andere wiederum sind mächtig.
Doch es steht nicht immer fest, worauf diese Macht beruht. Auf Schönheit vielleicht, aber dieses Wort hat eine ätherische Begriffsschattierung, die zur Macht in einem Widerspruch zu stehen scheint. Vollkommenheit, aber diese beschwört, möglicherweise zu Unrecht, die Vorstellung von Symmetrie und Logik herauf, die nun gerade hier fehlten. Es war also eine Schale, und diese war naturgemäß rund, doch konnte man gewiss nicht sagen, dass sie eine vollendete Rundung besaß. Sie war auch nicht überall gleich hoch. Die Wandungen -nein, so konnte man das nicht sagen, - die Innen- und Außenseiten glänzten, hatten aber etwas Rauhes an sich. (...)
Sie stand da auf ihrer Erhöhung, schwarz, leicht glänzend, rauh, auf einem Fuß, der für ihr Poids, was natürliches Gewicht bedeutet, allem Anschein nach zu schmal war. Hätte man 'Gewicht' sagen wollen, wäre damit auch wieder nicht das Richtige ausgedrückt. Sie stand da und existierte. Das war nur Semantik, aber wie sollte man es anders sagen? Dass sie lebte? Auch schon wieder ein Armutszeugnis. Bestenfalls hätte man noch sagen können, dass dieser Topf, diese Schale - oder wie man diesen einsamen Gegenstand dort hätte nennen wollen - so aussah, als sei er oder sie spontan entstanden, nicht von Menschenhand geschaffen. Die Schale war buchstäblich sui generis. Sie hatte sich selbst erschaffen. Sie herrschte über sich selbst und über diejenigen, die sie betrachteten. Man hätte vor dieser Schale ohne weiteres Angst bekommen können.
(...) als blicke er in die Tiefe eines Auges oder in einen unendlich verkleinerten Pfuhl. Die Schale starrte zurück, hohl, schwarz glänzend, der Abgesandte eines Universums, in dem ein Uneingeweihter nichts zu suchen hatte. (...)
Wie eine graue Milchstraße zog sich eine Bahn hellerer, rauher Punkte durch die tiefe Finsternis der schwarzen Innenseite. Wer würde es wagen, daraus zu trinken? Die Deckenleuchte, die genau über ihnen hing, spiegelte sich im Boden der Schale, doch es schien, als wolle diese das Licht, dass ihr so reichlich zugeführt wurde, nicht zurückgeben, als halte sie es in der tiefschwarzen Erde, aus der sie gemacht war, habgierig fest.
(Cees Nooteboom, Rituale, S. 159-170)
Die Schale hatte die Farbe der toten Blätter, aller toten Blätter zusammen, den Glanz kandierten Ingwers, süß und bitter, hart und sanft, das brünstige Lodern des Vergehenden. Sie war breit, nahezu ungeschlacht, nicht von Menschen gemacht, sondern in grauer Vorzeit entstanden. Hatte die schwarze Schale noch etwas Bedrohliches an sich gehabt, so ließ diese derartige Interpretationen weit hinter sich. Der Gedanke, die Dinge müßten von Menschen gesehen werden, um zu bestehen, war hier fehl am Platze. Wenn es so etwas gab wie ein Nirwana für Dinge, so war diese Raku-Teeschale bereits vor Äonen darin eingegangen.
(Cees Nooteboom, Rituale, S. 211)
Antihese zur Schönheit (im Allgemeinen und von Teeschalen im Besonderen)
Als ich sie sah, stockte mir das Herz: eine gute Teeschale, ja, aber wie gewöhnlich! So einfach, dass man sich einen gewöhnlicheren Gegenstand nicht vorstellen kann. Sie trägt nicht die Spur einer Verzierung, nicht die Spur eines Gestaltungswillens. Sie ist nicht mehr als eine koreanische Essensschale, eine Schale überdies, die ein armer Mensch jeden Tag benutzen würde - alltäglichste Töpferware. (...)
Der Ton wurde am Hügel hinter dem Haus gestochen, die Glasur wurde mit der Herdasche gemacht, die Töpferscheibe war unregelmäßig. Hinter der Form steckt kein besonderer Einfall: Sie war eine von vielen. Die Arbeit wurde rasch ausgeführt, das Abdrehen geschah grob und mit schmutzigen Händen, das Drehen erfolgte nachlässig, die Glasur war über den Fuß gelaufen. Der Raum, in dem die Drehscheibe stand, war dunkel. Der an der Drehscheibe saß, konnte nicht lesen. Beim Brennofen handelte es sich um eine jämmerliche Angelegenheit, das Brennen wurde ohne jede Sorgfalt durchgeführt. Am Gefäß klebte Sand, aber das kümmerte niemanden; keiner legte irgendwelche Träume in dieses Ding. Bei seinem Anblick könnte ein Töpfer seinen Beruf aufgeben. (...)
Aber so muss sie auch sein. Das Einfache und Unaufgeregte, das Ungeplante, das Unverfängliche, das Direkte, das Natürliche, das Unschuldige, das Demutsvolle, das Bescheidene: worin, wenn nicht in diesen Eigenschaften, besteht Schönheit? Das Sanfte, Schmucklose, Ungekünstelte - das sind die natürlichen Charakteristika, die die Zuneigung und die Achtung des Menschen verdienen. (...)
Inwiefern sollte eine so vollkommen gewöhnliche Schale so schön sein? Die Schönheit ist eine unausbleibliche Folge gerade dieser Gewöhnlichkeit. (...) Keine Teeschale übertrifft die(se) Ido-Schale an Schönheit. (...)
Den Teemeistern gefiel das schöne Netzwerk aus feinen Rissen auf den Ido-Schalen wegen der herzlichen, anregenden Liebenswürdigkeit, die es vermittelt. Sie fanden einen besonderen Reiz darin, wenn die Glasur beim Brennen springt und wenn sich aus den Mustern der ausgebesserten Risse eine "Landschaft" formt. Sie hatten große Freude an dem freien, groben Abdrehen und waren der Auffassung, dass viele Gefäße ohne es unvollkommen seien. Sie schenkten den geschnittenen Fußringen große Beachtung und waren entzückt über die natürlich entstandenen Rinnsale und Tropfen aus erstarrter Glasur. Dann wieder zollten sie dem inneren Volumen und den Rundungen der Schalen hohe Anerkennung; sie verschafften sich einen Eindruck davon, wie sich grüner Tee in ihnen setzt. Sie waren sehr wählerisch in Bezug darauf, wie sich der Rand der Schalen an ihren Lippen anfühlt und wie der "endlose" Ring variiert ist. Sie umfassten ihre Form und ertasteten ihre Dicke. Und sie wussten, welch angenehmes Gefühl eine leichte Deformation hervorruft. (...)
Die Teemeister erklärten, die koreanischen Schalen seien die Besten. Das ist ein ehrliches Eingeständnis. Warum, so fragte man sich, sind sie den japanischen Schalen überlegen? Die Antwort lautet: Die japanischen Töpfer waren bestrebt, gute Gefäße in Übereinstimmung mit anerkannten Standards oder Regeln herzustellen. Es ist aber falsch, wenn die beiden Perspektiven, unter denen Töpferware zu betrachten ist, die des Herstellers und die des Benutzers, durcheinandergebracht werden. Die Produktion wurde durch die Wertschätzung verdorben - japanische Schalen tragen den Makel des Bewusstseins. Raku Chojiro, Hon'ami Koetsu und andere individuelle Töpfer leiden alle mehr oder weniger unter derselben Krankheit. Es ist vollkommen in Ordnung, die Unregelmäßigkeiten in der Form der Ido-Schalen reizvoll zu finden, aber wenn man Gefäße mit absichtlichen Verformungen herstellt, geht dieser Reiz sofort verloren. Wenn die Glasur an einem Gefäß während des Brennvorgangs springt, ist das natürlich, es kann sich schließlich sogar als Segen erweisen; aber es ist etwas völlig anderes, wenn es aufgrund der irrigen Annahme, man befolge damit die Regeln der Teemeister, absichtlich herbeigeführt wird. Der Fußring einer Ido-Schale ist außergewöhnlich schön, aber es ist geradezu fatal, wenn man seine zufällig entstandenen Regelmäßigkeiten nachbilden will - die Schönheit geht dabei verloren.
All diese gewollten Entstellungen sind vor allem bei japanischen Schalen anzutreffen. Sie weisen eine ganz spezielle Art der Hässlichkeit auf, die beim Streben nach einer falsch verstandenen Schönheit entsteht. Es gibt auf der Welt nur wenig Vergleichbares. Die Ironie dabei ist, dass die japanischen Teemeister, die ein tieferes Verständnis für Schönheit hatten als irgend jemand sonst, zur Fortdauer dieses Missstandes beigetragen haben und noch immer beitragen. Es gibt kaum eine mit dem Raku-Stempel versehene Schale, die nicht hässlich wäre. Das läßt sich hingegen von keiner einzigen Ido-Schale sagen. Die Kizaemon-O-Ido-Schale ist die Antithese und Herausforderung von Raku.
(Soetsu Yanagi, Die Schönheit der einfachen Dinge, 1931)
Synthese?
Die Keramik ist mir heute die größte Freude in meinem Leben.
Ob morgens oder abends, im Mittelpunkt steht die Keramik. So wie sich, je länger man redet, die Gesprächsthemen von selbst vermehren, habe ich außer der Arbeit immer nur die Keramik im Kopf.
Die klaren Formen der alten Karatsu-Keramiken, ihre sanften, wunderbar verhaltenen Glasuroberflächen, die erdige Schönheit des Tones, die Art, wie ihr Fuß abgedreht ist. Allein daran zu denken, macht mich glücklich. Ich selbst besitze kein einziges Stück solcher alten Karatsu-Keramik. Wenn ich allerdings zu Antiquitätenhändlern gehe, finde ich zu meiner großen Freude so gut wie immer ein oder zwei solche Stücke zum Anschauen. Auch wenn ich mich körperlich unwohl fühle oder nicht gerade in bester Stimmung bin, sobald ich eine schöne Keramik sehe, vergesse ich alles. Es gibt nichts, was mich so sehr aufmuntert und erfrischt, wie gute Keramik anzufassen und anzuschauen.
Der Anlass dafür, dass ich zum ersten Mal tatsächlich selbst Ton in die Hand nahm, war eine Begegnung mit Herrn Professor Tayama Honan in einer Keramikwerkstatt in Kyoto. Professor Tayama arbeitete gerade an einer Karatsu-Schüssel mit Griffen, und ich habe ihm dabei zugeschaut. Da hat er mich aufgefordert, auch etwas zu machen, und ich habe zum ersten Mal gezeigt bekommen, wie man ein Sakeschälchen in Aufbautechnik herstellt. (...)
(Daikichi/Sugimoto Tatsuo, Schlamm-Vergnügen - Werke von Kato Kiyonobu und Sugimoto Tatsuo, 1979)
Warum?
Kratze den Schafspelz, und der Wolf in uns wird bald seine Zähne zeigen.
Man hat gesagt, dass der Mensch mit zehn Jahren ein Tier, mit zwanzig ein Wahnsinniger, mit dreißig ein Versager, mit vierzig ein Betrüger und mit fünfzig ein Verbrecher ist.
Vielleicht ist er ein Verbrecher geworden, weil er nie aufgehört hat, ein Tier zu sein.
Nichts ist uns wirklich, außer dem Hunger, nichts heilig, außer unseren eigenen Wünschen.
(Kakuzo Okarura, Das Buch vom Tee, S. 85)
Der Mensch der Urzeit, der seinem Mädchen das erste Blumengewinde brachte, unterschied sich damit vom Tier. Er wurde Mensch, weil er mehr als nur die eigentlichen Lebensnotwendigkeiten von der Natur forderte. Er trat in das Reich der Kunst ein, als er den feinen Nutzen des Nutzlosen erkannte.
(Kakuzo Okarura, Das Buch vom Tee, S. 84)
Die dynamische Natur dieser Philosophie betonte mehr den Vorgang, durch den die Vollendung angestrebt wurde, nicht die Vollendung selbst. Nur der konnte wahre Schönheit entdecken, der im Geiste das Unvollendete vollendete. Die Kraft des Lebens und der Kunst lag (liegt) in ihrer Möglichkeit, zu wachsen. Im Teeraum ist es jedem Gast überlassen, in der Phantasie die gesamte Wirkung in ihrer Beziehung zu seinem eigenen Ich zu vollenden.
(...) Dort, und allein dort, kann man sich der ungestörten Anbetung des Schönen hingeben.
(...) Heute macht die Industriealisierung wirklich vornehme Lebensarten auf der ganzen Welt immer schwerer. Brauchen wir darum den Teeraum nicht mehr denn je?
(Kakuzo Okarura, Das Buch vom Tee, S. 70/72)
(...) Der Teemeister hat seine Pflicht mit der Auswahl der Blumen [im Teeraum] erfüllt und lässt sie ihre eigene Geschichte erzählen. Betritt man einen Teeraum im späten Winter, kann man vielleicht einen schlanken Zweig der wilden Kirsche mit einer knospenden Kamelie gepaart sehen: Ein Echo des scheidenden Winters mit der Vorahnung des Frühlings verschmolzen. Wiederum, wenn man an einem glühend heißen Sommertag zu einem Mittagstee geht, kann man wohl in der dämmerigen Kühle der Tokonoma eine einzelne Lilie in einer Hängevase sehen: tauschwer scheint sie über die Narrheit des Lebens zu lächeln.
(Kakuzo Okarura, Das Buch vom Tee, S. 99)
Diejenigen von uns, die nicht das Geheimnis kennen, ihr eigenes Dasein auf diesem wilden Meer törichter Sorgen, das wir Leben nennen, richtig zu steuern, werden trotz aller Versuche, glücklich und zufrieden zu erscheinen, dauernd in einem Zustand des Elends leben. Wir schwanken bei dem Versuch, unser moralisches Gleichgewicht zu wahren, und sehen Vorboten des Sturmes in jedem Wölkchen, das am Horizont vorüber zieht. Und doch ist Freude und Schönheit in dem Rollen der Wogen, wie sie der Ewigkeit zufließen. Warum nicht in ihren Geist eindringen oder wie Lieh-tze auf dem Gewittersturm selber reiten?
(Kakuzo Okarura, Das Buch vom Tee, S. 105)
Der Mensch, wenn er ins Leben tritt,
ist weich und schwach,
und wenn er stirbt,
so ist er hart und stark.
Die Pflanzen, wenn sie ins Leben treten,
sind weich und zart,
und wenn sie sterben,
sind sie dürr und starr.
Darum sind die Harten und Starken
Gesellen des Todes,
die Weichen und Schwachen
Gesellen des Lebens.
Darum:
Sind die Waffen stark, so siegen sie nicht.
Sind die Bäume stark, so werden sie gefällt.
Das Starke und Große ist unten.
Das Weiche und Schwache ist oben.
(Laotse, Tao te king, 76)
ach ja, das war es, was ich gesucht hatte ;-)
(...) there is the defenite mystique of the pipe - the panoply of reamers, tampers, tobacco boxes and the like can produce a ritual of filling and lighting not unlike the Japanese tea ceremony. So it may have been that the breaks in concentration necessary to empty, refill an relight, helped in themselves, by temporarily diverting Holmes' mind from the more immediate details of the case, and allowed him to look at it afresh once the pipe was going again.
John Hall, 140 Different Varieties ([Sherlock] Holmes, the smoker)
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